„Das Erbstück“ ist eine bereits 2017 veröffentlichte Kurzgeschichte, die quasi einen Einblick in mein Schreiben gewährt. Im Anschluss an den Text kommt noch das „Making Of“, in dem ich die Entstehungsgeschichte und meine Gedanken zum Text darlege. Viel Lesevergnügen!
Hinweis: Erstveröffentlichung in der Anthologie „Grauen in der Dunkelheit“, ISBN 978-3-940830-76-0 Hrsg. Christoph Kolb (mittlerweile Christoph Grimm), Sarturia Verlag, 2017,
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Das Erbstück
Familie Hauer saß am Esstisch und spielte Mensch-ärgere-dich-nicht.
„Drei“, zählte Inga die Augen des Würfels ab. „Papa, ich kann dich schmeißen!“
Die Augen der Sechsjährigen strahlten. Dann nahm sie ihre rote Figur und stupste damit die Gelbe ihres Vaters vom Brett.
„Ich gewinne“, krähte sie aufgeregt.
Die Türklingel schrillte und unterbrach ihr Spiel.
„Ich geh schon“, meinte Sybille, Ingas Mutter und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. „Vor der Einfahrt steht ein Lieferwagen. Erwarten wir eine Lieferung?“
„Das könnte für mich sein.“, erklärte Norbert. „Ich hab mir ein paar gebrauchte Comics bestellt.“
„Schon wieder?“, nörgelte seine Frau und blickte ihn strafend an. „Bist du nicht langsam zu alt für den Schund?“
„Die fehlten mir noch in der Serie“, verteidigte er sich schmunzelnd. „Und nein, man ist immer so alt, wie man sich fühlt.“
Kopfschüttelnd verließ Sybille den Raum um dem Paketdienst zu öffnen.
„Äh… Schatz?“, erscholl es aus dem Vorraum. „Könntest du bitte kommen.“
„Muss ich persönlich unterschreiben? Kannst du das nicht machen?“
Seine Frau blieb hartnäckig. „Nein. Das solltest du dir selbst ansehen.“
Seufzend erhob sich Norbert. „Bin gleich wieder da, Inga, dann spielen wir weiter!“
„Also ich weiß nicht wie viele Comics du bestellt hast“, meinte Sybille fassungslos, „aber das geht zu weit.“
Zwei schnaufende Spediteure schleppten gerade ein etwa zwei mal zwei Meter messendes Paket mit einem Meter Breite heran.
„Wow… ähm… ich hab keine Ahnung was das ist“, stammelte er verblüfft.
Die Spediteure stellten das Paket im Vorraum ab. „Puh…“ Der Kleinere der beiden wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das ist wirklich sauschwer…“
„Sind sie hier sicher richtig?“, erkundigte sich Norbert.
„Ich hoffe schon“ Der Größere der beiden blickte auf das Gerät, das an seinem Gürtel baumelte. „Gartenstraße Nummer zehn, Herr Norbert Hauer?“
„Ja, das bin ich“
„Gut.“ Den beiden Trägern stand die Erleichterung, das Paket nicht nochmals schleppen zu müssen, deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Hier ist noch ein Schreiben für Sie.“ Damit griff der Größere in seine Brusttasche und holte einen verknitterten Brief hervor. Fragend nahm ihn Norbert entgegen.
„Das Paket kommt von Onkel Willi…“
„Ähm…“, bemerkte Sybille. „Onkel Willi ist tot? Wir waren letztes Jahr auf seiner Beerdigung? Hast du das etwa vergessen?“
„Nein“, beruhigte sie ihr Mann. „Natürlich nicht. Der Nachlassverwalter hat es geschickt, es kommt aber aus Willis Besitz.
„Könnten Sie uns noch bitte den Empfang quittieren?“, unterbrach sie der Kleinere der Paketträger. „Wir müssen dann weiter.“
„Sind Sie so nett und könnten Sie uns das Paket noch ins Arbeitszimmer am Ende des Flurs tragen?“, bat Norbert. „Mit meiner Frau schaffe ich das nicht und hier ist es im Weg.“
Norbert kannte die Sprache nicht, in der der Kleine etwas murmelte, aber er war sich ziemlich sicher, dass es nichts Nettes war. Der Größere nickte und sagte: „Sicher doch. Gerne …“
Nach getaner Arbeit bedankte sich Norbert und gab ihnen beim Gehen Trinkgeld für die zusätzliche Mühe. Anschließend holte er ein Messer aus der Schreibtischlade um das Paket zu öffnen. Inga gesellte sich zu ihren Eltern, nachdem sie nicht zum Weiterspielen gekommen waren.
„Was ist da drin?“, erkundigte sie sich neugierig. „Ein Baumhaus?“
„Ich glaube nicht“, lachte ihre Mutter. „Wir wollten gerade nachsehen.“
Mit einiger Mühe gelang es Norbert den Inhalt freizulegen. Zum Vorschein kam ein großer, fast komplett schwarzer Kasten aus massivem Holz, der mit schweren Eisenbeschlägen versehen war. Das Möbelstück sah wie aus, als würde es einem anderen Zeitalter entstammen und wirkte mehr als nur deplatziert in dem modernen Büro. Am ehesten konnte man es mit einer Mischung aus einem wuchtigen mittelalterlichen Kasten und einer gotischen Kirche beschreiben. Grob getischlert, aber an der Oberkante mit einer fein gearbeiteten Zierleiste versehen, die allerhand Fratzen zeigte, die an Wasserspeier auf den Dächern der alten Kirchen erinnerten.
„Was ist das für ein Ungetüm …“, entfuhr es Sybille.
„Onkel Willi hat Antiquitäten gesammelt.“, erklärte ihr Mann. „Der Schrank war eine Leihgabe von Willi an ein Museum, das ihn jetzt zurücküberstellt hat. Vermutlich wurde er uns vermacht, da Willi ja keine Kinder hatte.“
„Wer lackiert einen Kasten schwarz?“ erkundigte sich seine Frau. „Das drückt ja fürchterlich …“
„Wenn ich mich recht erinnere ist das kein Lack.“, erklärte Norbert. „Der ist glaub ich mit Blut gebeizt. Deshalb ist er so schwarz. Soll gegen Ungeziefer helfen. Das wurde früher so gemacht.“
„Igitt …“, entfuhr es Inga. „Das ist ja eklig.“
„Das ist es“, stimmte ihre Mutter zu. „Deshalb werden wir ihn wieder hergeben.“
„Ja… vielleicht wäre es das Beste“, pflichtete ihnen Norbert bei. „Ich werde mich mal bei Antiquitätenhändlern erkundigen.“ Mit seinem Handy fotografierte er das Möbelstück von allen Seiten. „Irgendetwas hatte es mit dem Schrank auf sich… Wenn ich nur wüsste was …“
„Schau mal nach ob da was drin ist.“, meinte Sybille. „Vielleicht Geld, Gold oder was anderes Brauchbares.“
Vergeblich rüttelte Norbert an der verschlossenen Tür. „Abgeschlossen. Schlüssel wäre mir keiner aufgefallen. Dir?“ Halbherzig durchwühlte er die Kartonreste.
„Nein, da ist nichts.“
„Können wir jetzt endlich weiterspielen?“, quengelte Inga genervt.
Ihre Eltern nickten zustimmend und sie verließen das Büro, um die Partie zu beenden.
Unruhig wälzte sich Norbert im Schlaf hin und her. Kinderlachen drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Müde drehte er sich im Bett herum und wollte gerade wieder einschlafen, als sich eine Erkenntnis sich einen Weg durch sein schlaftrunkenes Bewusstsein fraß. Moment – Kinderlachen? Mitten in der Nacht? Das Geräusch patschender Füße vor der Tür.
„Inga?“ Verschlafen setzte sich Norbert im Bett auf und lauschte in die Dunkelheit. Stille.
Missmutig stapfte Norbert aus dem Schlafzimmer in den Flur, der vom Mondlicht nur spärlich erhellt wurde. Ingas Tür stand eine Handbreit offen, damit sie in der Nacht – wie so oft – problemlos zu ihnen ins Schlafzimmer kommen konnte. Leise schlich er in ihr Zimmer. Ihr Atem ging tief und regelmäßig. Entweder hatte sie im Schlaf schlafgewandelt und gelacht, oder er hatte sich alles eingebildet. Müde ging Norbert wieder zu Bett.
„Papa!“, kreischte Inga entsetzt! „Papa, hilf mir!!“ Wie ein geölter Blitz kam sie in die Küche geflitzt und klammerte sich an Norberts Bein fest, noch ehe er die Chance gehabt hatte, das Küchenmesser beiseite zu legen.
„Was ist denn los meine Kleine? Hast du dir wehgetan?“
„Nein …“, stammelte seine Tochter. „Ich hab Angst!“
„Wovor fürchtest du dich denn?“, schmunzelte er. „Hast du eine Spinne entdeckt?“
„Vor dem Kasten“, schniefte Inga. „Ich hab hineingesehen und da wollte er mich fressen!“
„Ich glaube, da ist die Fantasie mit dir durchgegangen.“ Da fiel ihm ein kleines, aber bedeutendes Detail auf. „Moment – du hast den Kasten aufgemacht? Wir haben doch gar keinen Schlüssel!“
„Doch, der steckt!“
Norbert schüttelte langsam den Kopf. „Nein, außer Mama hat ihn gefunden und angesteckt.“
Mit einem Geschirrtuch wischte er sich die ab.
„Ich sehe mir das an.“
„Nicht Papa, was ist, wenn er dich schnappt?“
„Es ist nur ein Kasten“ Zur Beruhigung strich er seiner Tochter über die Haare. „Keine Angst, ok?“
Inga nickte tapfer.
Norbert ging von der Küche durchs Wohnzimmer in den Vorraum. Die Bürotür stand offen. Nachdenklich begutachtete er den Schrank und prüfte die Tür. „Verschlossen. Und Schlüssel steckt auch keiner.“
„Ich schwöre, da war ein Schlüssel!“, flüsterte Inga ängstlich.
Wieder weckte das glockenhelle Lachen eines Mädchens Norbert.
„Verdammt noch mal …“, murmelte er verschlafen, stand auf und wollte gerade auf den Flur hinausgehen, da erklang es nochmals. Laut und deutlich.
„Scheiße, ich dreh wirklich durch …“
Plötzlich schlug das Lachen in ein Weinen um. Ein angst- und schmerzerfülltes Weinen! So laut und intensiv, dass es ihm die Eingeweide zusammenkrampfte!
Mit schnellen Schritten lief er in Ingas Zimmer. Seine Tochter wälzte sich unruhig hin und her, schien aber noch zu schlafen.
War sie es gewesen? Es schien nicht so. Aber – beruhigte ihn das? Leise schlich er im Halbdunkel die Stiegen hinunter. Unten schaltete er das Licht an. Nichts Auffälliges. Stille.
Norbert wollte eben wieder hinaufgehen, als es aus der Richtung des Vorraums laut polterte. Erschrocken fuhr er herum und blickte entsetzt zur Tür. Vielleicht ein Einbrecher? Auf leisen Sohlen ging er zuerst zum Kamin und nahm den Schürhaken aus dem Ständer. Besser als gar keine Waffe. Mit erhobenem Haken in der rechten Hand riss er die Tür in den Vorraum auf. Bereit jeden Eindringling zu verjagen!
Als er das Chaos sah, ließ er die Waffe sinken.
„Das gibt’s doch nicht“, sagte er zu sich selbst. „Sowas kann auch nur in der Nacht passieren!“
Die Garderobenleiste war aus der Wand gerissen und alle Jacken lagen am Boden. Vermutlich war die Last zu groß gewesen oder die Dübel hatten in den alten Ziegeln nicht gehalten.
Über sich selbst lachend ging er wieder zu Bett. Schlaf fand er jedoch keinen mehr.
„Mama“, sagte Inga. „wer war das Mädchen?“
„Welches Mädchen?“, erkundigte sich ihre Mutter verdutzt.
„Na die, die in dem Kasten wohnt.“
Sybille sah ihre Tochter entgeistert an. „Bitte was?“
„Da wohnt ein Mädchen im Kasten.“, beharrte Inga. „Sie hat mich gestern Nacht besucht. Sie wollte, dass ich zu ihr in den Kasten spielen komme.“
„Das hast du bestimmt geträumt meine Kleine.“, behauptete ihre Mutter kreidebleich. „Wenn dein Vater von der Arbeit heimkommt, werden wir ihm sagen, dass er den Schrank endlich verkaufen soll, ok?“
Norbert hatte für das Anliegen vollstes Verständnis, insgeheim selbst froh, den unheimlichen Kasten los zu werden.
Die ersten potentiellen Interessenten hatten sich bereits für das kommende Wochenende angemeldet. Laut Einschätzung des Museumsdirektors, den Norbert anhand der Daten im Brief kontaktiert hatte, konnten sie einige Tausend Euro mit dem Verkauf erzielen.
Norbert sah sich verwirrt um. Anscheinend befand er sich in der Wohnung seines Onkels, im Gästezimmer. Aber die Welt wirkte irgendwie anders – irgendwie bleicher und grauer. Farben fehlten vollkommen. Ein kleines Mädchen saß an seinem Bettende.
„Kommst du mit mir spielen?“
„Ich weiß nicht“, hörte sich Norbert mit kindlicher Stimme sagen.
„Lass uns verstecken spielen!“ Das Mädchen reichte ihm die Hand. „Ich zeige dir mein Lieblingsversteck.“
Ohne eine Antwort abzuwarten zog sie ihn mit und führte ihn in das Sammlerzimmer seines Onkels. Das Mädchen zeigte auf einen großen schwarzen Schrank. „Das ist es“, rief sie mit glockenheller Stimme. Wie von Geisterhand schwangen die beiden Flügel von einem Quietschen begleitet auf. „Probier es, hier findet dich niemand …“
Panik stieg in Norbert hoch. Um nichts in der Welt wollte er in das Möbelstück, in die Dunkelheit. In Panik riss er sich los und lief so schnell er konnte weg, in das Zimmer seines Onkels.
„Willi, Willi!“
Sein Onkel fuhr erschrocken hoch. „Was ist los?“
„Das Mädchen im Kasten wollte mich holen!“
Onkel Willi knipste das Licht an und wirkte sichtlich schockiert.
„Wie bitte?“
„Ein Mädchen kam in mein Zimmer und wollte, dass wir uns im Kasten verstecken…“
Schweißgebadet erwachte Norbert. Das war mehr als nur ein Traum gewesen. Er konnte sich an die Geschehnisse erinnern, die sein kindliches Hirn verdrängt hatte! Nach dieser Nacht hatte sein Onkel den Schrank an ein Museum überstellt. Hätte sein Onkel das Ungetüm doch bloß zerstört!
Norbert nahm sein Smartphone vom Nachtkästchen und googelte das Museum, dass in dem Begleitschreiben genannt wurde. Der Webseite zufolge wurde gerade auf eine Biedermeier Ausstellung umgestellt, nachdem zuvor spätmittelalterliche Exponate gezeigt wurden. Die Liste war noch online. Schnell ließ sich der Kasten finden.
„Kasten des kleinen Mädchens“, murmelte Norbert entsetzt. „Der Legende zufolge entführte ein ungarischer Tischlermeister namens Kínvallatás, der sich für einen Nachfahren der legendären Gräfin Bathory hielt, Mitte des siebzehnten Jahrhunderts regelmäßig Kinder. Seine Tochter musste ihm dabei helfen, indem sie vortäuschte, mit ihnen spielen zu wollen. Kínvallatás folterte die Kinder zu Tode und fing ihr Blut auf, mit dem er den Kasten beizte. Eines der Kinder konnte fliehen, die Eltern erhoben Anklage. Bei einer darauffolgenden Durchsuchung der ärmlichen Behausung Kínvallatás‘ fanden sich Reste der toten Kinder.
Nach seiner Verhaftung wurde er zum Tode durch Rädern verurteilt und seine Tochter zur Strafe in den Kasten gesperrt, in dem man sie verhungern ließ. Das Möbelstück sollte eigentlich verbrannt werden, verblieb aber als Mahnmal im Gerichtsgebäude. Seine Spur verlor sich mit dem Ende der türkischen Herrschaft in Ungarn. Zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts tauchte er in einer privaten Sammlung wieder auf. Sämtliche Analysen bestätigen die Annahme, dass es der echte „Kasten des kleinen Mädchens“ sei. Der Sage nach, soll der ruhelose Geist der Tischlerstochter noch immer im Kasten wohnen.“
Plötzlich zerriss ein Schrei die Stille. Dieses Mal war es eindeutig Inga! Norbert lief es eiskalt den Rücken hinunter. Panisch sprang er aus dem Bett und lief auf den Gang. Die Kinderzimmertür stand offen, das Bett war jedoch leer. Wieder erklang ein Hilfeschrei von unten!
„Inga!“, rief Norbert entsetzt. „Ich komme!“
So schnell er konnte, rannte er die Treppe hinunter, durch Wohnzimmer und Vorraum ins Büro. Als er den Raum betrat, fiel die Kastentür mit einem lauten Klacken ins Schloss. Aus dem Inneren drangen gedämpft Ingas Rufe und Klopfen. Hektisch versuchte Norbert den Kasten mit den Händen aufzuziehen. Zwecklos! Hilflos sah er sich um. Sein Blick fiel auf den Schürhaken vom Vortag. Mit aller Kraft hieb er das schwere Eisen zwischen die Türen und stemmte sich mit aller Kraft dagegen.
„Inga! Halt durch!“
Das Metall bog sich unter dem Druck und die Holztüren ächzten. Es musste gelingen! Krachend brachen die Scharniere aus der Verankerung und die Flügel schwangen auf.
Inga saß bibbernd und weinend im dunklen Schrank. Ihr Gesicht und ihre Arme wiesen zahlreiche blutige Kratzer wie von Fingernägeln auf. Schnell hob Norbert seine Tochter aus dem Kasten.
„Alles wird gut, alles wird gut…“, versuchte er seine Tocher – und sich selbst – zu beruhigen.
„Was ist hier los?“, erkundigte sich Sybille schlaftrunken hinter ihnen. „Was macht Ihr im Büro?“
„Das Mädchen im Kasten…“, weinte Inga.
Sybille blickte ihren Mann fragend an.
„Erkläre ich dir später. Zieht euch an, ich fahre euch zu deiner Mutter.“
Eine Viertelstunde später saßen sie bereits im Auto.
Am nächsten Tag kehrte Norbert zum Haus zurück und holte die Axt aus der Garage. Dermaßen bewaffnet baute er sich vor dem Schrank auf.
„Ein paar Tausend Euro hin oder her, aber du wirst keinen Schaden mehr anrichten!“
Mit einem Krachen fuhr die Schneide in das Holz. Immer und immer wieder. Das Holz ächzte beinahe menschlich, fasst war es, als ob ein Wimmern die Luft erfüllte. Doch Norbert kannte kein Erbarmen. Hasserfüllt schlug er den Kasten kurz und klein.
Stück für Stück schleppte Norbert in den Garten und schichtete alles zu einem Haufen auf. Mit einem Besen kehrte er die Reste zusammen und warf sie zu den großen Teilen. Nichts – kein noch so kleiner Splitter durfte im Haus verbleiben. Anschließend holte er den Benzinkanister, den er in der Garage für den Rasenmäher aufbewahrte und übergoss das Holz.
Umständlich kramte er eine Zündholzschachtel aus der Jackentasche. Zischend entflammte das Streichholz, als Nobert es über die Zündfläche rieb.
„Du wirst für niemanden mehr eine Bedrohung sein.“
Mit einem dumpfen Fauchen entzündete sich der Benzin. Flammen huschten über das trockene Holz, fraßen sich hinein und verzehrten die Reste des dunklen Erbes.
Durch das Knistern und Knacken hörte Norberts die Schmerzensschreie der Tischlerstochter, die ihm ein letztes Mal kalte Schauer über den Rücken jagten. Geduldig hielt er Wache, bis das Mädchen verstummt und alles zu Asche verbrannt war.
Making Of „Das Erbstück“
Wer kennt sie nicht, die Angst vor dem Dunkeln? Eigentlich sollte uns die allumfassende Schwärze Ruhe und Geborgenheit bieten – gleich einem Baby im Bauch seiner Mutter. Doch meist tut sie das Gegenteil, sie verursacht uns Unbehagen. Wir fürchten uns vor den Dingen die in den Schatten lauern könnten, denn unsere Phantasie malt die für unsere persönlichen Ängste zugeschnittenen, schrecklichsten Bilder. Ob Geister, Dämonen, Ungeheuer, Einbrecher, Triebtäter oder Ungeziefer, jeder hat seine eigene Phobie im Kopf. Und wenn das Licht angeht, lachen wir über uns selbst, wie dumm wir nicht sind und uns vor dem über die Tür geworfenen Mantel erschreckt haben. Aber in unserem Inneren wissen wir, dass wenn es wieder Dunkel wird, die Angst wieder aus den schwarzen Ecken gekrochen kommt, um uns in ihrem kalten Würgegriff gefangen zu halten …
In „Das Erbstück“ habe ich an persönliche Ängste angelehnt, die mich als Kind geplagt haben. Nicht vor einem Möbelstück per se, aber das Unwohlsein, gerade nachts, aber auch tagsüber, wenn ich alleine zuhause war. Sowohl das Haus meiner Großeltern, als auch das Haus, in das ich Jahre später mit meiner Mutter gezogen bin, haben mich teilweise geängstigt. Alte Gebäude, voller Geräusche. Am Rande des Orts, am Rande der Siedlung, Blick auf Felder, Wald und Friedhof. Das eigene Zimmer, angrenzend an Feld, Keller und Heizraum.
Natürlich waren es nicht die Häuser selbst, sondern Geschichten von Gespenstern und Mördern, die einem nachts, wenn man alleine im dunklen Zimmer erwacht, wieder einfallen. Das, worüber man am Nachmittag mit Freunden lacht, kann nachts um 2:30 durchaus real ängstigen. Diese Kindheitserfahrungen, gepaart mit der elterlichen Sorge um die eigenen Kinder, haben zu dieser Kurzgeschichte geführt.